Einige Wochen vergingen in Mildura. Die Linien führten in die altertümlichen Trockenseen des Mungo Nationalparks, zu den vergangenen Kulturen und ältesten Hinterlassenschaften frühzeitlicher Menschen außerhalb Afrikas’. Das geheimnisvolle Gefühl, auf dem Grund eines tausende Jahre schon ausgetrockneten Sees zu wandeln, die Spuren längst vergangener Kulturen zu suchen. Die wie Sandstädte anmutenden Gesteinsformationen zu erkunden, die vor langer Zeit einmal das unterseeische Ufer gebildet haben.
Die Linien führten zum Jazz Festival, auf dem ich einige fantastische Gigs mit dem Don Mayne Trio spielen konnte. Drums, Trompete und 6-saitiger Bass. Das war die Architektur. Sie führte zu einem gefassten und doch weiträumigen Sound. So viel Platz zwischen Bass und Trompete, da kamen sich die Soli selten in die Quere. Und wenn, dann waren es zwei Hochgeschwindigkeitszüge, die die Lücken zwischen den Wagen zu nutzen wussten.
Protectionist? Hörte jemand davon? Ein Pferd, Eigentümer und Trainer – allesamt aus Deutschland – gewannen den diesjährigen Melbourne Cup. „The Race That Stops the Nation“ Ein offizieller Feiertag in Victoria. Dazu Trubel in der Stadt, hätte ich gewettet wie die spielgeilen Australier. Schon angeschlagen, kamen sie später alle in den Cider Tree, einer Bar mit Clubatmosphäre. Gestus: Es fängt 16:00 Uhr an, ich komme aber erst 17:00 Uhr, VIP! Tatsächlich war die All-Ages Party um 18:00 Uhr in vollem Gange. Dass dabei noch nicht einmal das Sandmännchen in die Puschen gekommen ist, stört in Australien niemand. Erinnert sich jemand an die 90er Jahre Kinderdiscos? Samstagnachmittags zwei bis fünf? Prügelei und tausende verausgabte Dollar später, macht die Polizei ihren nicht ganz ernst gemeinten Rundgang. Am nächsten Morgen – Arbeitstag, viele gehen nicht. No Worries!
Gestern Nacht saß ich mit Bürgermeister und Geschäftstieren an einem 5- Gänge- Menü. Italienisch angehaucht, lauschte den Reden einiger Absolventen. Die machten einen Leadership Course und gestern war die abschließende Zeremonie. Mit Jazz und 20er Jahre Outfits. Etwa 100 Leute zeigten, dass die Aussies auch gesittete Kultur mögen. Später zirkelte der Mond am offenen Himmel einen Wolkenring riesigen Durchmessers um sich herum. Strahlte so hell, dass der eigene Schatten tageskräftig wurde.
Jetzt nur noch die letzten Dinge packen. Eine große Reise beginnt. Mildura, Good Bye!
Patchewollok: Metropole im Outback
Einwohnerzahl: 30
Event: Patchewollok Music Festival
Umland: FarmgrasScrubWüste
Angekommen: Samstag, 8:00 Uhr nach zwei Stunden Fahrt
Plan: Festivalproduktion – Bühne, Sound
Bühne: Ein Trucktrailer, befestigt.
Der Ortsplan: Siehe Google Maps
Fragen: Wo kommen zigmal so viele Besucher wie der Ort Einwohner hat her?
Woher haben die Organisatoren den guten Riecher für die Frage: Was passt am Besten zu diesem Ort?
Werden die Schafe für das Rennen gedopt?
Erinnert sich noch jemand an die Trickserie „Unsere kleine Farm“?
Patche war eine Truly-Australian-Outback Erfahrung. Es drehte sich dort nur um Fragen der Ernte, der Einsamkeit, des Erlebens von Gemeinsamkeit. Die nächste nutzbare Stadt 45 Autominuten, das Krankenhaus, anderthalb Stunden. Lebensfreude, pures Land, eine Entscheidung, auf einer Farm zu leben. Den Nachbar besuchen heißt, eine Viertelstunde Auto zu fahren.
Welchen Eindruck gewinnt man aus der Lebensentscheidung der Menschen draußen auf dem Farmland?
Was macht es mit der eigenen Vorstellung von „Landleben“?
„Looks like Wales“ meinte Mr. James Cook, Schiffskapitän, im Anblick des neu entdeckten Landes. Nach Wales geht es also dann demnächst, das ist weniger weit weg als Australien und wohl auch so hübsch. Aber davon erinnert hier gerade nichts. Auf dem Beifahrersitz schreibe ich diesen Artikel und habe um mich herum nichts außer trockenes Gestrüpp auf 180° Sichtbreite. Outback. Nur geradeaus, Himmelblau, etwas Weiß dazwischen. Dann und wann geht eine Sandpiste vom Highway ab und führt auf ein drahtiges Tor zu, rostig. Dahinter läuft der rote Weg ins Nirgendwo. Oder trifft auf ein paar Holzhäuser am Horizont. Dort vermute ich ein paar Eigenbrötler, die ein Leben als Outback- Farmer führen. Kein Funknetz, es vergehen Minuten, ehedem ein neues Auto entgegenkommt. Wie lange es wohl dauert, bis es dem Australier auf solchen Straßen langweilig wird?
Auf dem Weg hierher war zuerst Sydney im Rückspiegel, der Highway dröselte sich dann hinauf in die Blue Mountains, dort über Katoomba, Blackheath und Lithgo entlang nach Bathurst. Das ist die erste Stadt in Central New South Wales, dem Eingangstor zum Westen. Und wie der Van den Highway die Berge hinunter rollte, verstand ich augenblicklich die Verwegenweit, das Archaische und Nebulöse eines Suchenden: „Nach Westen“ wäre seine Antwort auf die Frage, wohin es gehen sollte. Und dieses „Westen“ verleiht Flügel. Man muss noch nicht einmal eine Dose öffnen. Sondern nur die Berge im Spiegel sehen, die nicht endenden Hügel vor einem. Die Weite und Großzügigkeit, mit der in Australien die Landstriche auf der Leinwand liegen. „Looks like Wales“? Könnte gut die Gegend um Bathurst bis hinaus hinter Cowra sein. Die Hügel und wild wachsenden Eukalyptusbäume, die Ungepflegtheit mit altenglischem „well…“ Sobald eine Ladung Landschaftsgestaltung verstrichen ist, wartet hinter der Kurve, dem Hügel oder der Kreuzung die nächste. So hübsch. Was kommt danach? Wales ertrinkt nicht in den Transatlantikbeziehungen, es wird vom Bush besiegt. Das ist jenes Strauchgemenge aus Gelb, Grau, Grün, nochmal Grau und Rot, dass ab spätestens West Wyalong alles Romantische vertrieben hat. Flach, weit, trockener, unwirtlicher. Und: Einsam. Man freut sich auf den nächsten großen Punkt auf der Landkarte, um sich dann zu fragen: Warum ist ein Ort mit 2000 Einwohnern so groß auf der Landkarte verzeichnet? Ist es ein Knotenpunkt, ein Zentrum? Gerade nehme ich mir eine Karte von Australien in die Finger. Tatsächlich ist West Wyalong darauf verzeichnet. Ich grinse, wenn ich mir eine Europakarte vorstelle und darauf einen Ort wie Prösen eingetragen sehe.
„Nach Westen“ verliert sich ins Abstrakte einer Definition sobald man weiter Richtung Hay fährt. Kein Grasland mehr, nur noch Steppe. Man hört den Wind, einen Vogel von weit her. Mal ein Auto. Was noch? Da muss doch noch mehr sein? Hallo? Stille. Und gleich renne ich mit meiner Spielidee zum Patentamt: „Ich höre nicht, was du sonst hörst!“ Davon mindestens sechs verschiedene Dinge. Hay selbst ist dann eine Hauptstraße mit allem Wichtigen dran und kleinen Wohnvierteln nebenher. Der „Nach Westen“ Plan ist auch hier nicht am Ziel, aber man will gern vom Pferd steigen, seinen Colt ziehen und einen Hut durchlöchern, dann mit Dr. Emmet Brown den Fluxkompensator wieder fit machen. Die Mauern der Stadt werden dabei zum Schutz vor der rauen Weite da draußen. Gemütlich. Quer durch. Und weiter!
Gestern besuchte ich Mick und Kate, Mandolinenbauer und Sängerin, die ein riesiges(!) Grundstück besitzen. Auf dem Hügel das Haus. Er selbst Zimmermann, hat es gebaut und lud ein. Auf den Zehenspitzen der Blue Mountains liegen das Grasland, die Werkstatt und die von Kängurus bewohnten Gumtree- Wälder. Nach einem 30- minütigen Spaziergang in eine Richtung hatte ich noch immer nicht die Zäune erreicht. Also umkehren, Übersicht verschaffen. Weiter oberhalb des Hauses gibt es einen Hügel, mit einer Schneise durch den Wald. Von dort sah ich hinab, über das riesige Grundstück hinaus, weit in die Landschaft – und verstand den alten Cook.
Van abholen,
umbauen
Ein Toyota Hiace Commuter
14- Sitzer
Sämtliche Sitze herausbauen und verkaufen
Dinge einkaufen
verbauen
Einrichten, soweit möglich und das Ziel
die Straße
vor Augen haben
Das beschreibt die letzten Tage am Besten. Dabei fließt einem der Links-rum-Verkehr ziemlich eindringlich in die Venen. Bevor das System wieder im Kopf verankert ist, schalte ich den Scheibenwischer an, wenn ich eigentlich blinken will, mache die Tür auf, wenn ich schalten will. Die Zeit, die wir zum Umbauen des Vans benutzen, sorgt für Routine. Oh wie ist es schön: Stau. Sydneys‘ Feierabendverkehr, die Sonne brät die Windschutzscheibe. Keine Frage nach den Insassen. Links und rechts neben mir stehen die Autos und wie gut lässt sich das Stressmanagement der Aussies gegen 16 Uhr auf der Straße studieren. Schönes Australien? Was passiert damit, wenn man zwischen dieseldurstigen Metallkisten eingepfercht ist? Warten, abhängen, sehen, wie stark Sydney auf Autos basiert.
Dieses Bild entstand gestern. Wir haben eine Couch aus Rhyde abgeholt. Im Hintergrund ist die Skyline der Innenstadt zu erkennen. Sydney ist weit ausgestreckt, die Stadt ist in die Breite gebaut. Nicht in die Höhe. Viele Häuser sind eingeschossig, dafür flächig. Und wie kommt man von hier nach dort? Über die Straße. Fahren, fahren fahren. Aufregend langweilig.
Das Aufstellen für die Abreise nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Morgen schaffen wir den Van zum Service, dann los.
Und Musik? Für Marcus habe ich ein paar Stücke im Studio eingespielt. Klassische irische Songs in einem Bush-Australien-Wirbel. Dazu ein paar Grooves für ein Ostinato. Das waren in dem Fall ein paar Elemente Percussion, ein Hauch Gitarre und ein Thema auf einem Akkordeon. Das alles lässt man von be-geisternden Musikern spielen. Heraus kommt eine Mischung aus Worldmusic, Jazz, afrikanischem Gewürz.
Dazu bastele ich an einer Musik für ein Kurzfilmfestival.
Seit Letzter Woche Freitag bin ich zurück in Australien. Mit nur einem Hinflugticket ausgestattet wartet das Abenteuer Down Under. Gerade: Sydney auschecken, organisieren, Landkarte malen, Auto an den Start bringen! Work work work! No worries!
Wir hatten einen fabulösen Gig im Philly Joe’s
Jazzclub
Heute morgen
nach 25 Stunden Fahrt
in Berlin angekommen
ab ins Bett
Die Reise morpht jetzt in eine Truhe
Darin wachsen Erfahrungen
Zu neuen Ideen
Zu neuem Geist
Einer neuen Sicht
Neue Sicht auf das Land
Neue Sicht auf den Kontinent
den ich verlasse
Ein Paket Leben: Gehe um Mitternacht in eine Ofensauna. Heize auf 90°. Zieh’s durch. Gehe danach kalt duschen. Dann hinaus, auf die Wiese neben dem Wald. Die Wolken, die zur Küste reisen und vom Licht der alten Stadt sichtbar gemacht werden, schau sie lange an. Berühre mit deinem Körper den Wind, der sich zusammen mit den Wolken aufgemacht hat, das Meer zu besuchen. Lausche den Eichen, lausche den Birken. Öffne das Paket: Lege dich rückwärts ins regennasse, kalte Gras. Bleib liegen. Schau in die schwarze Nacht. Fühle.
Keine Zeit dazwischen gehabt. Freitagabend hatten wir das zweite Konzert auf dem Schulhof. Dort waren vorher ein paar Jazzkids am Start, die allesamt ‚andere‘ Instrumente spielen, als die, an denen sie dort gerade tätig waren. Ein Akkordeonist als Drummer, ein Pianist als Bassist und so lala. Tatsächlich wussten die schon, was sie machten und witzig war es darüber noch, weil es überall wackelte. Danach lernten wir ein paar Leute kennen, die auf der Sofawiese es sich bequem machten und jammten ein paar Songs in Eesti und Englisch. Musik verbindet. Klingt wie ein Kultusministerentwurf, stimmt aber. Wir liefen weiter durch die erleuchtete Altstadt und landeten in einem Restaurant namens „Clayhills“. Dort spielte Jonathan und Rauno schon ein Set. Wir würden später dazu stoßen. Die Bühne- ha – ein Schaufenster von 1,50×2 m. Überall Leute und dann wird aus so einem Puppentheaterlook eine echte Party. Wir standen zu viert in diesem Fenster, Jonathan, Marilla, Rauno und ich. Andrew und Chris saßen unten und schmierten mit ihren Instrumenten durch die Bratensoße der Gäste. Die Leute hatten ordentlich Laune und: Um ein Uhr nachts in Tallinn „We come from a land down under“ zu spielen – Original von den Aussies – streichelt das Fernweh.
Genusseinwurf: Warmes, cremebraunes Milchmischgetränk in roter Tasse auf gelbem Träger. Zweimal.
Abkürzungseinwürfe:
Nach dem Gig frachtete uns Rauno auf eine Party in Kalamaia, einem kleinen Bezirk von Tallinn. Draußen. Bäume, Farben, Electro. Unverputzte Industriegebäude, Mauern aus weißen Sandsteinen. Kenne ich noch aus Erichs’ Zeiten. So sahen die attraktiven Partys in Berlin vor ein paar Jahren aus. In den Gassen hängen die Youngsters herum, bringen Leben in die von Touristen befreiende Nacht.
Samstag Gig im 20st century. Davor gab es ein klärendes Streitgespräch. Häng lange mit denselben Leuten irgendwo herum und dann ist die Frage, was man mit den entstehenden Differenzen macht. Wegtun und schöninterpretieren oder raus damit? In einem Buch oder Gefühl konservieren und verarbeiten oder finstere Blicke üben? Einige Dinge, die für das gute Zusammenspiel auf einer zwischenmenschlichen Ebene wichtig sind, waren mir einen Streit wert. Schwierig war dabei, nicht zu wissen, wie andere Kulturen mit Diskussionen und Streit umgehen. Ich bin so herausgegangen: Ecken und Kanten geklärt, jeder weiß, wie er mit dem anderen klarkommt. Aber bleibt nicht der Eindruck, man fährt über nackte Füße, sobald man ‚redet‘ worüber nicht geredet werden will?
Sonntagabend dann der Hosteljam. Ich habe fast drei Stunden am Stück gespielt. Davon waren gut 80 Minuten purer Rhythmus. Viele Percussionisten, ein paar Gitarren und das australische Didg wandelten die Lounge des Hostels in einen orientalischen Klangkörper. Eine weitere Reise ins Exotische, ins Farbenspiel. Auf dieser Reise traf ich auch Bruno wieder. Der Schlagzeuger vom ersten Schulhofjam, kam auch zur Session und wir kamen ins Gespräch. Nach einigen Strahleaugen meinerseits, stand der Plan fest: Am Montag mache ich einen Ausflug. Bruno bot mir an, mitzukommen.
Die Geschichte:
Montag, vorher: Studio. Zwei neue von Jonathans Songs spielte ich um die Mittagszeit ein. Ein Techniker namens Casper. Könnte deutsch sein, so rahmenhaft arbeitet er. Als ich fertig war, musste ich schnell zurück, um meinen Link zu bekommen. Durch den Regen klackerten meine Schuhe über das alte Kopfsteinpflaster, schnell Tasche packen! Kurz später saß ich bei Bruno im Auto, der noch einen 9. Klässler in seine Heimatstadt mitnahm. Bruno drückte mir gleich eine Art Quark-Rosinenblechkuchen in die Hand. Mal probieren? SchussTrefferVersenkt! Der Fahrer grinst, der Beifahrer ist still bei lecker Kuchen. Das war so gut und anders als bekannt. Nächste Offensive: Ich bekomme ein dunkles, estnisches Brot geschenkt. Braun wie eine Bitterschokolade. Nachdem ich einige schon probiert hatte, postuliere ich hiermit: Brot in Estland ist ebenbürtig, wenn nicht besser als in Deutschland! Das heißt was. So gut, so lecker. Zeilen mit dem Feiern über Essen zu verschwenden, macht immer Laune :). Mein Geschenk ist darüber hinaus ein Vampirvertreiber mit 50 Meter Umkreiswirkung, so viel Knoblauch ist da drin. Brot Estland – Deutschland 1:0! (Wer mir den Vergleich als zu ernst übelnimmt, guckt in den Spiegel und versucht mal mit der Hand eins der beiden Augenlider zu schließen und wieder zu öffnen. Und, geht?)
Wir fuhren über die Autobahn nach Westen, bis raus an die Küste in die kleine Stadt Haapsalu. Verbrachten einen fetten Abend. Zum Schluss öffnete ich das Paket Leben.
Heute morgen lief ich durch die Stadt und erforschte dann das alte Schloss. 1228 als Kloster erbaut, später zum Schloss erweitert. (Sogar mit Geheimtunnel ins 3km entfernte Nachbardorf, wow!) Gern in Geschichte zugehört, weiß ich, dass die Mittelältler alle etwas hobbitartiger von ihrer Körpergröße am Start waren. Aber letztlich durch diese kleinen Steindurchgänge zu schreiten, das Raue, Unnachgiebige des damaligen Lebens auf dem Schloss nachzuvollziehen, war beklemmend. Die steinernen Kellergewölbe, die höhlenartigen Räume, keine Heizung, keine nennenswerte Wärmedämmung. Einige Räume waren nur Löcher im Dreck.
Im Schlossturm war das Hospital. Ok- Ich hab’ einen Pflichttermin beim Arzt im Turm? Nach ‚diesen‘ Bildern der Behandlungsmethoden, die dort aushingen, hätte man mich mit einer Seilwinde hochschleifen müssen! Schmiedezangen, Keile & Schwerter- für den Arzt! Das Instrumentarium wurde aus der Werkstatt zweckentfremdet, so sah es aus. Auch wenn diese Darstellung auch von den Fähigkeiten des malenden Künstler abhängt. Aber wie rabiat manche Methoden, vor allem beim Zahnarzt, auch waren: Verstanden haben die Menschen damals, dass sie die Kranken von den Gesunden fernhalten müssen. Daher auch das Hospital im Turm, weit oben, frische Luft, keine anderen Menschen. Alte und Kranke, sie waren eine Gefahr für das gesunde Schlossvolk. Heute sind wir an Heilung gewöhnt, mit Kranken in Kontakt zu kommen, spielt für uns weniger eine Rolle. Damals war es gefährlicher.
Gemütlich war es später trotzdem, innerhalb des Geländes zu laufen; um das Schloss herum beschützte eine Mauer ein noch größeres Areal.
Jetzt nähere ich mich Tallinn. Ich sitze im Bus. Servicedetail: In diesem Bus gibt es Strom. In diesem Bus gibt es freies Internet. Yeah. Wlan Router an board und dann über das Funknetz in die Welt.
Zuetzt: Was den gestrigen Abend so Klasse machte, war der Umstand, dass ich mit Bruno einen fantastischen Kite Lehrer kennengelernt habe! Einen lange gehegten Wunsch habe ich mir gestern Abend erfüllt, an der Ostseeküste Estlands: Das erste Mal kiten! Yeah! Eigentlich ‚nur‘ ein großer Lenkdrachen, aber man kann mit ihm fliegen und im Wasser ne Menge Spaß haben. Loopings drehen und Sounds produzieren. Es war ein Anfängermodell, Folienbauweise. 2 Quadratmeter Fläche. Aber es zog schon ordentlich. Was für ein spänstiges, wendiges Viecht, ich nannte das Ding: Robo.
Und ich kann mir gar nicht erklären, wer da diese Seile hinabgelassen hat…
So alt. Tallinn ist 1200 gebaut worden. Ich schlich durch die engen Gassen, die Häuserschluchten verschlucken sich gegenseitig. Manche Wände sind schief. Manche Fenster riechen nach dem Leder der Kaufleute, die dort vor vielen hundert Jahren ihre Kontore aufbauten. Die Mauern und Wachtürme erinnern an jenes eine Aufbaustrategiespiel von 1998, das im Namen das lateinische Wort für „Jahr“ trägt. Hügel hinauf, Granitpflastersteine, buckelig, schief, ungerade. Ehe ich mich versehe, durchquerte ich das Stadttor, an den Türmen vorbei und landete am Hafen. Ende Gelände, schon wieder. Dort warten bröselige Betonbuchten auf russische Kriegsschiffe, die nicht mehr kommen. Was in der Altstadt für Charme sorgt, stößt am Wasser ab. Und überhaupt will das Touristenauge nur das schöne Alte sehen. Außerhalb verfällt das ein oder andere Haus.
Vor zwei Tagen fuhren wir mit Jonathan und Rauno in ein verlassenes, verfallenes Industriegebiet. Große Stahltür auf, stiegen wir in den ersten Stock einer alten Fabrikhalle. Dort ist ein Studio eingerichtet. Von 8 bis Mitternacht nahmen wir dort Demos für zwei Songs auf. Jonathan Flack, australischer Singer- Songwriter mit Stimme und Sinn für Feeling. So viele ‚S‘ in einem Satz.
AusdemTaxirausWindgrauvioletterHimmelBeginnenderRegenSturmKrachBlitzZuckReinTreppenhinaufMuffeinesaltenKellersundjahreabgestandenesÖlausderPanzerwerkstatt
Dann standen wir in einem hohen Raum, der noch immer Sowjet aussah. Draußen krachte und windete es. Das hohe Fenster hinaus zeigte ein Ineinanderschlieren von Grau, Weiß, Violett. Und dazwischen die gleißenden, zuckenden Adern vom Himmel zur Erde. Mit Kraft zogen die Wolken über den Kontinent. Wir arbeiteten lange an zwei von Jonathans Songs und beide strahlen mit Leben und Groove. Jonathan als Sänger und Gitarrist, Rauno, estländischer Drummer, ich am Bass, Chris E-Gitarre, Marilla Zweitstimme und Andrew am Didg und Geige. Imrer nahm auf. Kurz darauf war es Mitternacht. Wir mussten vorher raus. Der Wachdienst für das weite Gelände lässt die Hunde los. What? Yeah, no joke. Dann waren wir draußen, die Schranke am Eingang schloss sich, ein hohes Tor dahinter schloss sich. Mir blieb nur der Blick auf das Warnzeichen für die Hunde. Mit gefletschten Zähnen und Klauen sagte es deutlich: Versuche lieber nicht reinzukommen.
Wir beschlossen, Montag noch einmal aufzunehmen. Da wir als Backingband mit Jonathan noch neu waren, fanden wir zunächst die Richtung der Songs und werden am Montag Nägel mit Köpfen machen.
Gestern mein Tallinnwalk. Danach war ich fast eine Stunde im Supermarkt. Einkaufen ist schwer, wenn man nicht weiß, was in der Schachtel is, sobald kein Bild mehr drauf ist. Briefmarken gecheckt und wieder zurück zur Basis. Dort warteten Marilla und Andrew auf uns, es gibt im Innenhof eines Gymnasiums eine große überdachte Bühne, auf der man spielen kann. Wollen wir das machen? Klar- los. Eine Viertelstunde laufen später stehen wir auf diesem Hof. Ein kleiner Torbogen führt hinein. Wiese. Rankpflanzen. Weiße Wände. Alte Häuser. Mitten in der Altstadt. Wir gehen zur Bühne, die Organisatoren freuen sich über die Musiker. Auf der Wiese liegen bequem Gäste. Verstreut auf Bänken, Decken, Sitzkissen. Eine Blumenwiese bei der die Blumen Oasen zum Abtauchen sind. Um die Welt aus der Kinderperspektive zu besehen.
Wir fangen an zu spielen. Was? Es entsteht, während wir im Klang verschwinden. Ich male eine Klangwolke in die blaue Stunde, Chris begleitet mich augenblicklich und Andrew findet seine Leiter hinein. Marilla singt weit tragende Töne in die Luft. Der Ausblick ist eine Zeitreise. Die Bühne steht gegenüber des Torbogens, der den Eingang zum Hof bildet. Über ihm jagen alte Mauern empor. Fenster, schiefe Dächer. Im Hintergrund stapelt sich Stein für Stein der Rest der Stadtmauer hinauf, bis man auf eine ehrwürdige Festung schaut. Selbst draußen unter freiem Himmel widerhallt die alte Stadt. Ich hatte nie vorher das Gefühl, Straßen, Gänge, Gassen und dicht gebaute Häuser mit Klang zu füllen. Wie durch Kanäle hinauf schob sich unsere akustische Erfindung, unser Jam, unser Adventure.
Danach spielten wir ein paar Stücke aus unserem Repertoire, zusammen mit ein paar lokalen Musikern, die einstiegen. Am Ende hatten wir einen Gig mehr am Start, nachher geht es dort wieder hin für einen kompletten Auftritt. Danach spielen mit Jonathan und Rauno bis tief in die Nacht noch einen Gig in einer Bar. Ich bin gespannt auf das Gefühl Tallinn im Tiefschlaf.
Die beste Info heute: Auf einer Tour durch die Stadt erfuhr ich, dass die Zeitreise ins 13. Jahrhundert in Tallinn nur möglich ist, weil zu Zeiten der Modernisierung die ‚Eesti‘, wie sie sich nennen einfach mal bankrott waren! Ha. Es gab kein Geld für Neubauten! Man stelle sich das vor! Aus dieser Not und dem Fortschreiten der Zeit ist also unsere Möglichkeit entstanden, diese ewig alte Stadt zu betrachten. Damals kotzten wohl alle ab, Mist, wir bleiben zurück. Hunderte Jahre später macht diese vergangene ‚Zeit‘ aus, dass wir zurückreisen können. Trivia. Aber höchst interessante Konstellation für mich.
Das ist Werbung.
Coldplay – Ghost Stories
Das Album begleitet die Fahrt.
Straßen ewig durch Dunkelheit.
Posen nach Mitternacht.
Warschau halb fünf am Morgen.
Augustow am Mittag.
Der Nordosten bringt Masuren.
Waldländer und Ebenen.
Litauen im Sommer
Plus Wälder Plus Ebenen
Coldplays‘ Ghost Stories begleitet in der Nacht wunderbar eine lange Fahrt. Wie geschmackvoll und elegisch. Noch Pop. Doch sitzt Chris Martin wie ein Großvater auf dem Sessel, wenn er ‚True Love‘ singt. Unbedingt Kopfhörer. Unbedingt an einem Strand, unbedingt im Dunkel. Auf der Straße vor Kaunas. Die gute Hälfte der Strecke ist geschafft mit dem dritten Mal ‚Ghost Stories‘.
Ich wollte nur ein kurzes Reisevideo dazu einstellen, aber dann…
Heute morgen erfuhr ich vom Tod Robin Williams‘. Als Kind sah ich viele Filme mit ihm, einige waren prägend. Als Teenager haben wir im Weltschmerz betrauert, einmal den Tag zu erleben, an dem viele unserer großen Schauspieler gehen werden. Robin Williams war einer von ihnen. Ich glaube es noch nicht. Erinnere mich gern zurück. Und habe doch etwas von diesem Gefühl eingefangen. Ganz ohne falsche Werbung:
Mein Song „But Time“ auf meiner Emeral EP lebt vom Andenken an diese Zeit und passt gut dazu. Das warme Gefühl der Erinnerung an die Kindheit, erzählt von einem Kind. Haltet es fest!
Musicmaik – But Time
I have grown up in a time
where cars got broken by my childish fights
the skies where travelled by my wooden small toys
with red and yellow blinking round lights
take off, get up, I want nothing more
Look up into the sky, that is me smiling there
sit on my wooden toys and fly
Look up into the sky, that is me smiling there
doing nothing more
than running back in time
Now that I’m grown up in a time
where couples always seem, they hook up online
airplanes are cutting the skies into tiles
and a are leaving my dad wondering
what this is all about
Freitagnachmittag YEAH! Am Sonntag fahre ich mit Marilla Holmes, Andrew Clermont und Chris Blyth nach Estland. In Tallinn werden wir Gigs spielen, aufnehmen und die Gegend erforschen. Der Fuchs freut sich wie ich darüber. Und endlich weiß ich, warum die Revaler Straße Revaler Straße heißt.
Neues gibt es auch hier auf der Seite: Tragt Euch rechts in den Newsletter ein und bekommt dann und wann frisch getipptes von Musicmaik. Die Daten werden nur für die Post verwendet. ‚Schwöre.