Fäden in den Geschichten der Welt

Butterfly Effect. Der Schmetterlingseffekt. Ein asiatisches Sprichwort meint: Was man tut, hat Konsequenzen. Ein Schmetterling kann mit seinen Flügen in China schlagen und in Argentinien ein Erdbeben auslösen. Lange her, seit sich der gleichnamige Film in meine Augen gegraben hat. Aber er bleibt präsent. Wie sich das asiatische Wort für mich in Terra Australis anfühlt, das geht in drei Sprüngen so:

I – Flügelschlag
November 2014. Ein Donnerstagnachmittag. Die Mildura Episode neigt sich dem Ende und ich bin auf einem Secondary College im Musikunterricht. Kids zocken Gitarren, Bässe, Drums, üben für einen Gig, der gleichzeitig ihre Benotung beinhaltet. Ich schaue mir den Unterricht an, mache Interviews mit Lehrer Luke Peak und schreibe danach einen Bericht über Musikunterricht in der Gegend Mildura. (Den gibt es hier zum Download) Da wachsen einem schon die Neidhörner, betrachtet man die Energie, die Ausstattung der Räume und die Teilnahme der Schüler im Unterricht. Klasse gemacht, tatsächlich spielen die Schüler in Musik auch Musik.

In einem kleinen Proberaum rede ich mit zwei Jungen, 15 und 16, sie arbeiten an einem Song. Gitarre, Bass. Bauen ihn zurecht, indem sie die passende Tonart für ihre Stimmen finden. Levi am Bass bekommt eine kleine Aufgabe von mir und hat mit ihrer Lösung den richtigen Fingersatz gefunden. Wir unterhalten uns über Musik, ich zeige den Jungs etwas auf dem Bass und gehe schließlich zu anderen Gruppen. Arbeite seriös, das Interview muss umfassend recherchiert sein, jawohl!

Am selben Abend einen Jazzgig gespielt, dann los ins Land. Die große Reise Mildura – Woodford begann. Durch die Grampiens nach Port Fairy, Great Ocean Road, Melbourne, Gippsland, bis an die Küste, dann malerisch nach Norden, Sydney, Port Macquarie, magic Byron, Brisbane, Woodford, Wahuu! Und tausend Eindrücke dazwischen.

März 2015. Samstagabend in Bruthen. Einen ganzen Tag Studio hinter mir, bin ich wieder im hübschen Ost- Gippsland. Ich stehe auf dem Holzdeck des rustikalen „Bruthen Inns“, dem lokalen Hotel, schaue nach Westen ins Tal und telefoniere mit Chris. Die Abendsonne wirft die letzten warmen Strahlen über die Berge bevor sie dahinter nach Europa brutzelt. Wir klären die Details für das Cullulleraine Exposed Festival. Alles cool, ach ja, da ist noch was Chris. Der Hals deiner Mandoline bricht ab, die Leimung geht auf. Ich wars nicht! Tschuuuummm. „Roight…“ Backe den besten Cheesecake und schmeiß’ gleich danach Fischsauce drauf. In dem Fall musste es sein.
Die Gippsland Woche geht gut weiter mit den Aufnahmen der Kinder in den Grundschulen und sehr ländlichen Eindrücken der Südküste.

II – Schwingungsfäden
April 2015 Cullulleraine Exposed. Am Freitagnachmittag richte ich den Van auf dem Zeltplatz ein, Samstag geht es los. Ein paar Musiker trudeln ein und ich erfahre von Tony, einem Songwriter und seinem Sohn, Levi. Gleich darauf lerne ich beide kennen. Etwas an dieser Begegnung raschelt im Hinterkopf und ich spule zurück, renne, springe über all die Küsten und Strände, die Grooves von Woodford und der Glut in Tamworth. Mildura! College, ach genau! Ja cool, wir kennen uns und labern über das und jenes. Australien wird kleiner. Dazu kommt seine Mutter Ana. Ihre Familie ist verwurzelt in Neuseeland, sie ist eine Maori. Als die drei ihr Camp errichtet haben, war ihre erste Frage: „Do you like nipples, Maik?“ Levi schaut auf, grinst, sein Dad dreht sich zu Ana um, ich fange an zu feixen. „Oh! Sorry sorry, the Kiwi-Accent! I mean „nibbles“, something to chew on, chips and sauces.“ Ja, so kann man’s auch machen.

Nach meinem Hauptgig am Samstag spiele ich später in der offiziellen Cullulleraine Open Camp Kitchen Stage. Levi + Eltern sind auch da. Ich spiele neben einigen anderen Songs meinen deutschen Song „Riese“. Als ich mit meinem Set fertig bin, kommt Ana zu mir, ihre Augen groß, die Hand zu mir ausgestreckt und fragt mich, welchen Song ich da gespielt habe, dieser Giant, der Riese? Der Flügelschlag, nur ist es einige Welten her.

Dafür ein Flashback
Oktober 2010. Nach 24 Stunden Flug, drei Stunden Autofahrt und etwas Schlaf sitze ich auf einem Plateau und sehe, wie Stille lebt. Vom Mt. Taranaki hinab liegen die sattgrünen Ebenen, die Wolken ziehen langsam näher, rollen die Hänge hinauf. Im Dunst der Ozean, hinter mir der steinerne Gipfel des alten Kolosses. Nach einer erforschenden Wanderung habe ich meine Gitarre bei mir und spiele, probiere, kritzele herum. Der Song „Riese“ entsteht dort auf den Hängen von Taranaki.

[bandcamp track=1669301723 bgcol=FFFFFF linkcol=4285BB size=grande]


wild und weich der schnee fällt vom himmel an diesem ort

am ende des pfades nur wolken warten dort
sie ziehn von weiten wassern sanft herauf
über felsen und bäche und wälder ziehn sie fort

die menschen hier vor langer zeit schauten nur zu dir wenn ein wunder entzweit ihr gefühl dafür
was die welt lebend hält, weil du schon lang thronst hier

zu dir aufgeschaut ist jedes haus nur ein kleiner fleck
wenn die sonne hoch steht sind deine hänge dem schnee versteck
den tod bringst du für all jene die achtlos sind
wenn sie so leichtfertig herzens dann meinen dich zu bezwing’

die menschen hier vor langer zeit schauten nur zu dir wenn ein wunder entzweit ihr gefühl dafür
was die welt lebend hält, weil du schon lang thronst hier

als könig erkannt sieht man ringsum von weitem seit jeher vergöttert – dein gewand
mit schnweeweißer pracht von den wolken erdacht ist dein leuchtender gipfel wunderland

ein einsamer riese auf den inseln der wolke, tausende jahre stehst du hier
ein eisiger riese auf den inseln der wolke, ewig thronst du hier


III – Beben
April 2015 Cullulleraine – Ana hörte meine englische Einleitung zum Song – der ist auf Deutsch, kein Mensch versteht ihn hier. Jetzt erzählt sie mir, dass ihre Familie und Vorfahren genau an diesem Ort lebten und leben, sie den Berg wie einen Gott verehren und ihr Geschick und Glück von ‚seinem‘ Wohlwollen abhängig sehen. Es ist unglaublich, dass jemand vom anderen Ende der Welt einen Song über diesen Berg geschrieben hätte. Seine Bedeutung und Magie den Einwohnern in einem Lied transportieren kann. Und ob ich eine englische Version habe.

Sie erzählt mir über das Verhältnis der Menschen dort zu ihrem Berg und ich bin baff, dass ich ohne jede Maori- Ahnung ein ziemlich genaues Bild davon im Text gemalt hatte. Damals auf den Hängen in Neuseeland. Mit diesem Input steuere ich das Wochenende lang über das Festival: Mildura – Schule – Levi – Gippsland – Festival – Levis’ Family – Riese. Bäng.
Ana schickte ich gestern Abend ein backfrisches Demo des Riesen in Englisch. Ich frage mich: Welche Lüfte bewegt der Flügelschlag des Schmetterlings dieses Mal?


Themenwechsel
Gehe in die Knie, mache einen großen Sprung und lande auf Eis.
Eis, Edward hatte seine Zeit damit. Erinnert sich jemand an den Film „Edward mit den Scheerenhänden“? Kommen da warme Erinnerungen hervor? Ich teile sie! Es gibt dort eine Szene, in der er einen Engel aus einem riesigen Block Eis schnitzt. Verliebt als Frankensteins Monster in die junge Wynona Rider – Geht das gut? Es muss unbedingt gut gehen.

Weil: Die Musik dazu ist weltfremd schön. Danny Elfman komponierte den Soundtrack und nannte das Stück für diese Szene: „Ice Dance“. Seit jeher transportiert mich dieses Stück nach anderswo und als ich im Januar nach dem Woodford- Zirkus ein paar Tage Ruhe im Regenwald um Maleny fand, dachte ich: Das machen wir! Wir, ein paar Musiker, die sich in Tamworth Mitte Januar treffen, eingeladen von Andrew Clermont. Ich schrieb ein Arrangement für eine kleine Besetzung dieses magischen Stücks, das eigentlich für ein 100-Leute-Orchester komponiert wurde. Es klein und doch wirksam zu halten, es funktionieren zu lassen, das war die Herausforderung! (Abgesehen davon, jedem so einen Zettel voller Noten in die Hand zu drücken) In Tamworth war es dann soweit, ohne viel Zeit für die Vorbereitung zu haben, brachten wir es auf die Bühne. Herz für dieses Stück!

Hier noch die obligate Information in Hochdeutsch: Es spielen von links nach rechts: Gage Stead Kontrabass, Parris MacLeod Klavier, Maik Antrack E-Bass, Jeri Foreman & Jude Iddison Geigen, Brookie Gillett & Marilla Homes Gesang.

Bis demnächst,
aus Adelaide

Foto: Peter Brown
Foto: Peter Brown
Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Hallo

Volltreffer:

——————–

//Andrew und Heather leben auf einem Weingut in Central Victoria. 15 Kilometer in jede Richtung herum ist nichts außer Grasland, ein paar Bäume und Hügel. Altes Vulkanland, Granitbrocken, rote Erde. Dort ist gerade meine Basis. Über den März laufen an den Wochenenden kleine Konzerte sowie ein überschaubares Festival. Ich arbeite, helfe bei den Konzerten, spiele mit Musikern.

//Vorige Woche fuhr ich zurück nach Ost Gippsland, Bairnsdale, Paynesville um dort als musikalisches Gehör den Großteil einer CD mit lokalen Musikern aufzunehmen.

Kalenderabriss: Freitag, 13. (schon wieder!) 7:00 Uhr nach Bruthen fahren, 6 Stunden, Studio bis 22:00 Uhr

Samstag 10 – 21 Uhr Studio

Sonntag 10 – 18 Uhr Studio

Montag 7 – 15 Uhr Stratford /Avon Grundschule – Kindergesang aufnehmen, 19 – 24 Uhr Studio

Dienstag 7 – 15 Uhr Bairnsdale Grundschule – Kindergesang aufnehmen

Mittwoch – Environmental Work – Am Steilhang eines Flussufers australienfremde Bäume vergiften und nicht auf Schlangen tapsen.

Donnerstag – Jurymitglied eines Lebensmittelwettbewerbes sein

Freitag – 7 – 15 Uhr Lakes Entrance Grundschule – Kindergesang aufnehmen

Samstag besuche ich eine Freundin, Sonntag kehre ich zurück aufs Weingut. Was in dieser Woche als reine Aufnahme geplant war, wuchs sich zu einem Produzentenjob für mich. Yeha!

//Arbeiten – ich lerne gerade, wie Wein gemacht wird. März in Victoria, die Trauben kommen rein, werden zu Wein. Bald singe ich ein Lied von Shiraz, Cabernot Franc und Chardonnay. An den Abenden mische ich die aufgenommene Platte. Full Day. Yay!

Und im Handumdrehen geht einem die Zeit aus. Die Schilderung eines Arbeitstages als langweiliges Thema? Vielmehr beeindruckt die Möglichkeit, hier aus ein paar Backsteinen ein Haus zu bauen. Aus ein paar Telefonaten und Gesprächen wird im Handumdrehen ein guter Job und ein größeres Aufnahmeprojekt plätschert ans Ufer. Möglich möglich möglich, mach mach mach. Ziemlich hübsch, wie viele Aussies aufs Können schauen, hören, fühlen und gleich Nägel mit Köpfen machen. Und tatsächlich winden sich die Blätter an den Bäumen, über die Granithügel der Weingüter rast ein kalter Antarktiswind. Es wird Herbst und bleibt es relativ warm am Tag, ist es am Abend und Morgen recht kalt. Man schaut über die Hügel in die Ebenen und spürt den kalten Wind vom Südpol. Seltsam, wie diese Mischung daherkommt – Australien bekommt die Klatsche aus Antarktika. Bevor man sich versieht, integriert, verträumt und -liebt man sich in sein Leben hier. Lucky!

Auch: Die Zeit vergeht, Australien überschüttet die Erfahrungen mit immer Neuem.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Heiße Höschen am Freitag dem 13.

Vogelperspektive go!:

Maik will die Rego des Vans erneuern. Rego = Registration = Zulassung. Eine Zulassung muss jedes Jahr erneuert werden. Maik fährt in die Werkstatt. Die Werkstatt kontrolliert den Van auf Fahrtüchtigkeit und Sicherheit in einer knappen technischen Inspektion. Heißes Höschen Nummer eins: Besteht das Fahrzeug diesen Test, bekommt Maik einen Pink Slip, einen so genannten Rosa Zettel! Der Van besteht, Yeah, Pink Slip her damit. Hat Maik den sexy Pink Slip in der Tasche, geht es zur Versicherung der Wahl. Hat Maik sich für einen Anbieter entschieden, bekommt er von diesem einen weiteren Antörner: Den Green Slip! Danach geht Maik mit beiden Slips zur Registry = Zulassungsbehörde und erneuert gegen ein mehrere hundert Dollar kostendes Entgelt die Rego des Vans für ein Jahr.

Als Maik ein paar Versicherungen anruft, finden die etwas seltsames in den Zulassungsdaten des Vans. Das Auto wiegt 1655kg im Leerzustand. Der Formfaktoreintrag sagt: BUS. Sitze: 14, erfordert wird eine teure Heavy Vehicle Inspection in einer HVIS – einer Heavy Vehicle Inspection Station. Sowie eine exorbitant teure Versicherung für Personentransfer. Aber da sind doch nur 3 Sitze drin? Egal, es zählt, was drinsteht. Auf den Internetseiten der Registry findet Maik heraus: Heavy Vehicle = Leergewicht > 4,5 Tonnen. Warum ist der Van ein Heavy Vehicle?

Maik geht ein weiteres Mal zur Werkstatt, zeigt dem Mechaniker die dubiosen Details in der Zulassung. Der bekommt große Augen und erkennt einen, seinen Fehler. Der Van hat nur 3 Sitze, in der Zulassung steht: 14. Von 3 Sitzen ausgehend, machte der Mechaniker eine Light Vehicle Inspection. Jedoch: Zugelassen als BUS mit 14 Sitzen muss das Auto in eine HVIS, eine Heavyblablabla! Maik ermüdet vom Abkürzungswahn. Heavy Vehicle Inspection nebst feindseligen Reparaturen + Personentransportversicherung für den Van, der ein Bett transportiert? Horrende Kosten von um die $2000. Maik staunt, aber der Techniker referiert weiter: Es gibt einen Weg da rundherum. Maik öffnet die Augen. Geh mit dem Auto zu einem von drei anderen Mechanikern in der Stadt, die sind dazu lizensiert, dem Auto unters’ Zahnfleisch zu fühlen und in einer Tiefeninspektion zu erkennen, dass das Auto nicht mehr 14, sondern 3 Sitze hat. Die entsprechende Werkstatt erkennt Maik an einem AUVIS Zeichen, das ist eine AUthorized Vehicle Inspection Station, eine authorisierte Fahrzeuginspektionswerkstatt. Besteht der Van diese Inspektion, bekommt Maik: Einen Blue Slip! Yes! Es kann jedoch sein, dass das Auto diesen Test zuerst nicht besteht, da es Mängel haben könnte. Ist das der Fall, bekommt Maik einen, Achtung: White Slip! und muss dann die aufgeführten Punkte reparieren lassen. Danach wird der White Slip in einen Blue Slip umgewandelt. Maik kann dann wieder zur Werkstatt kommen und – wenn es dann noch nötig ist – einen erneuten Pink Slip einfordern. Meistens muss man das aber nicht machen, da der Blue Slip hochwertiger – das heißt: mehr sexy – als der Pink Slip ist. Äh ja, Heiß!

Maik begibt sich zur Registry. Dort mal nachfragen. Die Mitarbeiterin überreicht Maik ein Papier auf dem sich ein paar Telefonnummern befinden. Was?, nein kein Blue Slip erforderlich. Angerufen, meldet sich ein Mann, ein Ingenieur, der ein Certificate of Compliance ausstellt. Eine Sicherheitserklärung. Einen Blue Slip bräuchte Maik nicht, aber der Ingenieur müsse sich die Modifikation des Fahrzeugs anschauen und abnicken. Maik denkt: Sitze ausbauen = Modifikation? Hm, Na gut – Hoffnung! Der Mann schreddert sie sogleich: $700. Das kostet ein Blick in den Van, der dem Ingenieur zeigt, dass die Sitze korrekt ausgeschraubt, die Sicherheitsgurte abgebaut und die Löcher im Fahrzeugboden mit Silikon ausgefüllt wurden. Ein Besuch von 5 Minuten. Stachlig denkt sich Maik: Der Ingenieur hat bei $700 / 5 Minuten einen Stundenlohn von $8400. Maik meint: Ohja! Ist die Fahrzeugmodifikation abgenickt, muss das Fahrzeug neu gewogen werden, dann wird der Formfaktor im Zulassungspapier von BUS in PVAN (PanelVan with Sliding Windows = Hoher Van mit Schiebefenstern) umgeändert, die fehlenden Sitze machen es bei einem Gewicht von ca. 1500kg von einem Heavy Vehicle zu einem Light Vehicle. (beachte: Das Fahrzeug wog niemals zuvor 4,5t, die Sitze machens also, Smartie! Und: Der Ingenieur ist daher ein teurer Zauberer)

Dann kann Maik zum Mechaniker zurückkommen, einen weiteren sexy Pink Slip anfordern (der für Light Vehicles gilt), dann zur Versicherung, einen Green Slip kaufen, schließlich bei der Registry die Rego verlängern. Alles für ein Light Vehicle, das wird dann billiger.

Als Maik mit einem Musikerkumpel in Victoria telefoniert, sagt dieser: Krass, bei uns ist das alles anders? Wie jetzt? Ja, die Verkehrs- und Zulassungsbestimmungen sind in jedem australischen Staat anders. Oha.

Maik versteht: Ein Freitag der 13. kann ein Lehrbuch sein, ja wirklich! New South Wales kann
k-o-m-p-l-i-z-i-e-r-t-e-r W-a-h-n-s-i-n-n also mindestens ebenso schön schreiben wie Deutschland. Das aber immerhin: Sexy!

Die Aussies und ihre Slips…

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Bau den Communityzaun!

Wacht über eure Nachbarschaft
Baut Straßen
Trefft Euch zum BBQ
Errichtet eine NationSeid gut zueinander
Nennt es Australia Day
Erinnert den Invasion Day
Genießt das größte Countryfestival der südlichen Hemisphäre
Helft euch, wenn das Auto liegenbleibt

Aus dem Bush ging es nach Süden, durch Brisbane, Warwick, Stanthorpe, Glenn Innes, Armidale, zurück nach Tamworth. Dort spielte ich vor einem Jahr wie auch jetzt wieder. Dem Land drosch einiges an Regen auf das strohige Haupt, so wurde es grün und charmant. Die paar Hügel, an deren Fuße Tamworth liegt, machen die Aussicht in die „Plains“ hübsch und laden zum Schwelgen ein. Der Oxley Lookout ist Abschussrampe der Blicke. Die Festivalwoche rannte ihre acht Tage schneller ab als der Millisekundenzeiger und von Gig zu Gig, Probe zu Probe genoss ich das Spiel mit so vielen Musikern in Andrew Clermonts Supper Club. Das Festival saugt Besucher aus Australien und anderen Teilen der Welt an, macht die Stadt zu einem Salat aus Cowboyhüten und Lederstiefeln. Leute rennen Quintbässen, 3-Akkordsongs und den Geschichten aus den Hügeln nach, passen ihre Sehnsucht nach etwas Identität in viele verschiedene Korsetts. Einige davon passen gut, doch der Träger wirkt verschroben.

Das Countryfestival in Tamworth zeigt die Produkte einer dicken Musikindustrie Australiens. Jung wie alt, vom 6-jährigen Straßentalentmusiker, dem seine Kindheit von den steakschmatzenden Eltern geraubt wird, bis hinauf zum elderly Gentlemen, dem die C-F-G-Akkord- Finger an seine Bluesgitarre gewachsen sind. Viel Energie und Geld geht in den Nachwuchs für Bluegrass & Co, standing ovations für eine gute Leistung am Banjo. Dort noch etwas Hype und „Good on ya!“ Es passt nur eins nicht: Aus der Papierlandkarte ausgeschnitten und etwas weiter nordöstlich auf den Globus geklebt, passt der große Südkontinent nun gar nicht auf Nordamerika. Dorther nämlich entstammt Bluegrass und Country. Australien mit seinen Instrumentalhelden aus dem Folk & Country zelebriert diese Musik aber wie seine eigene. Irgendwie das Bild verzerrend, passt der rote Kontinent auch: Er hat Weite, Unnachgiebigkeit, Naturschönheit und vermittelt dem Reisenden gerne die Wahrheit, ganz klein zu sein. Es finden sich 1000acre Rinderfarmen, Cowboys und die Melancholie- stiftende Einsamkeit der „Plains“. Ein Kontrabass, Westerngitarre, Banjo, Mandoline und die Fiddle sitzen da fest im Sattel. Aber kann man einen erwachsenen Sound ohne weiteres nehmen und hochentwickelt in einen wilden Kontinent installieren? Ein paar Sträflinge und Pioniere reisten über eine Monate dauernde Schiffsreise von den britischen Inseln bis nach Australien. Kämpften in ihren Siedlungen ums Überleben gegen die feindliche und karge Natur, sobald sie – wie in Amerika einmal – nach Westen aufbrachen, um neues Land zu finden. Irgendwie von Britannien abstammend, vermischt mit vielen Ethnien der Welt, fehlt dann eine Musik. 227 Jahre ist es her, seit die First Fleet in der Botany Bay landete und die Sträflingskolonie Sydney – neben den misstrauischen Blicken der Aborigines – errichtete. Eine fast 2000 jährige Kultur in Europa irgendwie zurücklassend – Was macht man mit Musik?

Auf dem Woodford Folk Festival sah ich hinreißend gute Musiker spielen, Bluegrass in Perfektion. Aber jeder schaut nach Nashville, wie macht man Platten, wie nimmt man die dann auf, was funktioniert gut im Business?
Die Wildheit des australischen Kontinents, die Bruthitze in manchen Teilen, Luftfeuchtigkeit und der ressourcenhungrige Kampf, der das Leben dort ermöglicht – sie verdienen, leben etwas eigenes. Die mehrere 10000 Jahre dauernde Geschichte der Aborigines hat da etwas zu bieten. Aber der kleine Imperativ, den die Exeuropäer über Bluegrass & Country als eigene australische Musik pflocken – der passt nicht so recht. Die Ernsthaftigkeit die das Erbe pflegen soll, hat ein Problem: Man könnte alle rote Erde pflügen, finden würde man nur Staub, Spinnen, Schlangen. Keine Box mit einer kulturellen Erinnerung. Viel zu wild ist der Grund, auf dem die spaßige Klimperei gedeihen soll. In Amerika ist das anders weil gemäßigter. Und bei dem gegenwärtigen Zuzug aus den Ländern der Welt suchen die Aussies gern subtil und unausgesprochen nach etwas Eigenem.

Die Stadt irgendwo zwischen der Landschaft, ein kleiner Ort der Gemeindschaft, verlässt man ihn, so ist überall herum das Abenteuer Überleben aktiv. Die kleinen Hinweisschilder dann mit „Nationbuilding“, „Communitywatch“ oder „Developmental Programme“ versehen, versuchen sie auch irgendwie zu beschützen. Die Menschen – vor der natürlichen Aggression des Kontinents und seinen vielfältigen Zähnen. Man übersieht sie manches Mal, aber sie sind scharf an unvermuteten Stellen.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Reisen zwischen den Jahren

Und wieder zurück. Auf dem Hügel leuchtet Woodfordia in der Sonne. Ein paar Tage später haucht die Zeit zwischen den Jahren Energie und Leben in die Gegend. Zweitausend Künstler würden über die Woche ihre Welt auf die Bühne bringen. Ein Tag in Worten, war er so: Kurz nach sechs grillt die Sonne den Van und alles, was in ihm schlafen möchte. Das Frühstück passiert im wenig kühlenden Schatten die Grenze zwischen Tisch und Magen. Die Dusche ist eine Verwandte vom Dixie-Klo. Der Platz in ihr ist quadratisch und knapp. Nachdem das Wasser stoppt, tickt die Uhr. Nach etwa einer Minute hat die Sonne ihr nächstes Thermowerk vollbracht – einen Brutkasten, aus dem man besser schnell entkommt. Gegen neun ist eine Probe angesetzt, halb elf Üben, um zwölf Probe, um zwei chillen. Drei bis fünf die erste Show in Bills Bar. Zwischen fünf und neun gibt es ein paar inspirierende Konzerte sowie Cadi – Camp Dinner. Neundreißig bis knapp Mitternacht dann die nächste Show in Bills Bar. Sobald man dann schlurfend in den Van steigt, ist das Bett gern gesehen. Und trotzdem schleicht Kollege Nervtöter mit: Noch immer über 25°, noch immer Luftfeuchtigkeit wie nach einem Aufguss. Alles klamm. Als ob es etwas bringen würde: Doch Fenster öffnen will man außerdem wegen den wendigen Krabbel- und Kriechtieren auch nicht so recht. Und dann schüttet es immer wieder aus den Wolken, Aufguss Nummer sonstwieviel. Woodford wird Schlammloch und ohne die Anstrengung loszuwerden schreit die olle Sonne am nächsten Morgen wieder mit gefühltem Gasbrenner: Hallooo!! weiter geht’s! Und von vorn.

Woodford ist eine Woche ausklinken, Energie ausgeben und tanken. Denn die Dynamik, mit der das Festival zwischen Weihnachten und Neujahr lebt, ist großartig. Man nehme 20 Besucher, frage jeden nach seinem persönlichen Woodford – und wird 20 verschiedene Antworten bekommen. Die Bandbreite ist riesig, die Auswahl schwer. Die logistische Organisation ein Mammut und wird von 2400 Freiwilligen gezähmt. Es gibt mehr oder weniger versteckte Happenings während der Woche, auf der man Missionen erfüllt und mit einem Charakter Teil einer Parallelgeschichte ist. Mein persönliches Erlebnis mit starken Musikern zu spielen, ist dabei nur ein kleiner Teil. Genial war dabei wieder auch auf dem Fire Event vor 24000 Besuchern im Amphitheater zu spielen.

Auf dem Hügel tropft Woodfordia im Regen. Der Van rollt in der Gigantschlange von Autos hinaus, auf die Hauptstraße. In den Hügeln legt sich das Festival schlafen, für ein Jahr Neuplanung und Arbeit bis zum nächsten Weihnachten. Vorbei. Ach – schon? Nach etwa einer halben Stunde erreiche ich das nächste Ziel: Das Diamond Valley. Der Hügel präsentiert ein Tal vom Wald gefressen. Nur grün. Eine Schlängelstraße führt hinab und irgendwo dort unten liegt der Ort, an dem ich gerade schreibe. Der Sandweg ist der Eingang zu einem 220 000 Quadratmeter Grundstück. Es erstreckt sich über Hügel und Senken, überwachsen vom Regenwald. Hier und da sind Kunstwerke in das Holz geschlagen. „Häuser“ im weitesten Sinne. Ich denke zuerst an Peter Pan und sein Leben in den Baumhäusern. Sechs Meter über dem Boden schwebende Ebenen, die einen geraden Blick in die Baumkronen ermöglichen. Ein Haus wie ein Pizzastück geschnitten, ein Tonstudio drinnen und rundherum die Bäume, die später einmal Holz für eine große australische Gitarrenmarke werden. Nachts hört man nichts nur den kleinen Bach, die Blätter und die Wolken unter den Sternen ziehen. Ein Ort der Inspiration und Ruhe, nie war er edler als hier. Und so setzt sich langsam die Woodford- Erfahrung an einem goldenen Platz ab.

Reisen zwischen den Jahren

1945 mussten sie raus. Wer morgen noch da ist, wird erschossen. Der erste Sommer nach dem Krieg brachte die größte Wunde eines Lebens. Mit 13 Jahren musste Hilda den wundervollen Ort ihrer Kindheit im Schock verlassen, aus Todesangst. Mit ihr gingen Mutter und drei jüngere Geschwister. Zwei Schwestern, ein Bruder. Vater ist vom Kriegsdienst noch nicht heimgekehrt. Er wird es nicht. Über eine fast zweimonatige Strapaze von Fußmarsch und Viehwagentransport stoppten sie Anfang September in einem Flüchtlingslager einer Stadt an der Elster. Vom Turm aus hätte man jeden einzelnen Flüchtling zählen können. Weil der einjährige Junge krank war, weigerte die Mutter sich weiterzuziehen. Sie blieb mit den vier Schützlingen. Die Geschwister werden erwachsen, haben Familien, der Junge zieht in die Gegend, die anderen drei verbringen ihr Leben in der Stadt. Die jüngste der drei Mädchen stirbt 1985, gerade in ihren Fünfzigern. Sie verlor ein halbes Jahr zuvor ein Zwillingskind, hinterlässt drei Kinder, deren Familien, Enkel. Sie hatte nie erfahren können, dass einer ihrer Enkel später Musiker werden würde.

In den Jahren, in denen die Enkel groß wurden und ihr eigenes Leben haben, traf der Musiker Hilda öfter. Sie sprachen über ihre Herkunft, die Vertreibung. Er lernte die Geschichte kennen, die er gern von seiner Großmutter gehört hätte. Hilda und er verabreden sich. Mit über 80 würde sie noch einmal in ihre Heimat fahren. Nach Hause. Sie würden den Vormittag über fahren. Im Mai 2013 steht Hilda am See. Im Hintergrund der einzelne Berg, das Dorf umwachsen von Wald. Sie erinnert sich an jedes Detail, zeigt den kleinen Strand, an dem sie als Kind vor 70 Jahren baden war. Langsam läuft sie mit ihrem Rollator durch die Straßen, sie zeigt ihren Nachkommen das Haus, in dem ihre Familie wohnte. Sie zeichnet genau das Leben um 1940 nach. Sie fahren in das 5-Häuser-Nachbardorf, sie zeigt ihr Geburtshaus und Schulweg. Jedes Wort von ihr meißelt sich auf eine Granittafel in die Erinnerungen des Musikers.

Anfang September 2014 bekommt Hilda Besuch vom Musiker. Er unterhält sich mit ihr, soweit das möglich ist. Ihr Interesse ist wach, sie ist klug doch fällt es ihr schwer zu sprechen. Ihre Augen sehen schwach. Aber in ihnen strahlt das Licht eines erfüllten Lebens neben einer nie heilenden Wunde, die sie als 13-Jährige erlitt. In leiser Voraussicht gibt er ihr etwas, teilt etwas mit ihr, ohne das er nicht gehen könnte. Es sind drei Sätze in Tränen. Sie lächelt.

Ein paar Tage später sitzt er im Flugzeug und macht sich an die 16000 Kilometer nach Australien. Begegnungen, Musik, Orte, Weihnachten, neues Jahr, Woodfordia. Diamond Valley, das Studio im Baumhaus, im Gitarrenwald. Seine Mutter schreibt ihm dann und wann. Am Morgen findet eine Mail den Weg durch das Blattdach. Hilda ist am 29. Dezember eingeschlafen. Als Älteste war sie die Letzte mit Erinnerungen an damals.

Reisen zwischen den Jahren

Wie schaut man in die Wolken? Wie betrachtet man den Wald? Was denkt man über die Zeit in Australien, in diesem Moment? Man verlässt das vertraute Leben und stürzt in Neues. Und dann kommen sie, die von weit her aufziehenden Lichter. Sie flüstern nur leise. Man unternimmt eine Reise, verlässt doch mehr, als man zu Anfang sehen will. Überlässt, ist fern. Da ist Woodford mit seinem Lebensdrang. Und zugleich das Ende eines Lebens zuhause. Wir suchen uns aus, was wir leben und wie wir unsere Zeit verbringen. Hier im Wald leuchtet noch Woodford. Hier im Wald schlug gestern der Verlust ein. Er verglüht nicht, er sagt: Nimm mich auf. Es ist an dir, das einzuordnen. Beides geschieht gleichzeitig.

Aber: Was macht es einfacher, hier unten? Ich bin so froh, ihr gesagt zu haben, was für sie war. Froh, ihr Leben kennengelernt zu haben. Jetzt habe ich keine Chance mehr dazu. Aber ich habe etwas von ihr, was ich weitertragen werde. Es ist nicht weniger als ein Teil meiner Geschichte. Und ich frage mich: Wissen alle meine Lieben von mir, was ich für sie habe?
Habe ich meine Zeit mit ihnen bisher erfüllend genutzt?

Im September, bevor ich hinter mir Hildas’ Zimmertür schloss, sagte sie zu mir:
„Lasst Euch nichts zu Schulden kommen.“

Danke für Alles.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Reise Blau Ende

Kapitel Ende. Am 7. November begann die Reise durch Australien. Am 22. Dezember erreichte ich (streng nach deutschem Plan) Woodford. Jetzt geschehen hier die letzten Züge um am kommenden Samstag ein dickes Fest voller Musik, Theater, Performance, Basteln & Bauen starten zu lassen. Genial! Voriges Jahr spielte ich schon einmal mit, dieses Jahr fehlen mir -Jippie!:

– Übermüdung
– Jetlag
– Hitzeschlag

Alles kein Thema mehr da schon dran gewöhnt oder nicht zutreffend. Die Checkliste sieht gut aus, Essen, Bass, Muse und Vorbereitung für dieses dicke Festival stimmen.
Die Eindrücke der „Reise Blau“ müssen sich irgendwie erst setzen. Woodford ist kaum der richtige Ort dafür. Und nebenbei bemerkt: Gerade ist es 18:15 Uhr am 24.12. – Frohe Weihnachten!? In Anlehnung an den kulturellen und klimatischen Unterschied hier stelle ich fest:
Sonne, Zikaden, feuchtwarme Hitze, BBQs und blauer Himmel – das verjagt Weihnachtsfeeling. Aber so ist es hier, immer rein ins Blau der Andersartigkeit! Gut gehen lassen kann man es sich überall. Nur muss man manchmal den Blick abwenden, um zu checken, wie cool es in der heimatlichen Gegend ist.

at Woodford 🙂
Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Back At Byron

Dieses Mal von Süden. Vor gut elf Monaten reiste ich mit dem Bus aus Brisbane ab und erreichte an einem sommerregnerischen Abend das vom Neujahrsbesäufnis ausnüchternde Byron Bay. Ich blieb eine Woche und atmete den Geist des äußersten Nordostens von New South Wales. Oder mal Geographiefuchs: Am Cape Byron, der östlichsten Landspitze des australischen Festlandes.

Fast ein Jahr später gleitet der Surfer auf seinem Board über die elegant brechenden Wellen in die gemalte Bucht und wirft mir meine Erinnerungen aus der nassen Hosentasche in den weißen Strandsand. Back At Byron! Leicht Bekleidete säumen die Straßen, geben den Shops und Cafés ihr Geld, die Wellen purzeln wie seit tausenden Jahren auf den feinen Sand. Mein Kumpel Paul weilt seit ehedem durch die Gegend um Byron, seiner Heimat. Und ehe ich mich versehe, versuche ich neben all den Postkartenmotiven es aufs Neue zu finden.

Es – Versteckt sich zwischen den Hippieklamotten, die man im Spiegel sieht, sobald man eine Sonnenbrille probiert. Zwischen dem Duft von parfümiertem Stoff, zwischen den Kisten von Räucherstäben und Kaffee. Klemmt zwischen den fettigen Gitarrenakkorden groovender Rastafaris. Es springt dann hinaus auf die Straße, zwischen den Wabbershorts, den ärmellosen weiten Shirts, auf das Cap seines Trägers, von dort hinauf auf ein Palmenblatt und beobachtet den Weg des Windes vom Ozean, quer durch einen Wolkenberg in die Bucht. Der Turm von Byron versucht es in der Nacht gleich mir, leuchtet den Sichelstrand aus, unter den Wellen, unter den Muscheln – Nix. Und zwischen den Straßen – wo das Herz des Ozeandorfes klopft? Wo?

Es – Sobald ich die Grenze zum Byron Shire überschritt, hing es wie die Hitze in der Luft: Das Gefühl, da irgendwo an einem Ozean im Süden zu leben. An der Küste, direkt am Wasser. Den Surfstrand vor der Nase, die Sonne überall. Das Leben hier ist langsamer als anderswo, die Leute gehen vor der Arbeit entspannt zum Morgenschwimmen oder Surfen, haben ihren Kaffee, packen ein und arbeiten ihren Job. Schon heute sehe ich Paul in gut 30 Jahren am Strand sitzen, Gras rauchend, die Haare weiß, die Züge erfahren, langsam nickend. Er hat dann sein Leben ‚im Paradies‘ verbracht, wie er sagt. Nie lebte er anderswo, nur in Byron Bay. Fotos, Beweise einer Geschichte, zeigen die Anfänge, die Walstadtzeit und den Tourismus heute. Aber jedes Mal ist es da: Das nur schwer zu greifende Gefühl, ein Leben in dieser Wohltat zu verbringen. Man muss nie irgendwohin fahren, um ein schönes Motiv für ein Foto zu finden. Nie weit weg träumen, wo man gerade sein will. Hier in Byron Bay fühlen sich Tag wie Nacht an, als ob die Sehnsucht nach einem fernen, fernen blauen Ort am Pazifik ihr Ziel erreicht hat. Motor Stopp, aussteigen, wow sagen plus fühlen. Und das eigensinnige Gefühl namens Sehnsucht bestaunt die eigene Fähigkeit, überhaupt in der Lage zu sein, an einem Ziel anzukommen.

Vielleicht ist ein Teil davon das Anderssein der Umwelt: Wo man hingeht, fühlt man sich wohl. Man fährt ein paar Minuten und verbringt urzeitliche Stunden in Millionen Jahre altem Regenwald, steht unter 100m hohen Wasserfällen und wartet auf den nächsten Velociraptor hinterm Baum. Entspannt man dann auf einem Hügel des Byron ‚Hinterlandes‘, erblickt man das Drama der Natur: Ein nicht von Menschen formbares Abenteuer für die Augen klappt auf. Man hört noch immer das Meer rauschen, wie seit jeher. Die Bewohner der Gegend sagen dann immer einen Satz: „Byron and the coast here, that’s just a very beautiful part of the world.“ Wie banal und besiegend richtig. Manche meinen: „It never stopps being beautiful.“

Ich verneige mich respektvoll vor dem Tarnvermögens meines zu Erhaschenden: Dem Byron-Feeling. Worte können es nicht finden und doch macht jeder neue Anlauf mehr Spaß. Hierher zurückzukommen hat etwas magisches, kaum zu greifendes. Es ist da und füllt aus. Doch es bleibt ein guter Geist. Zwischen den warmen Wellen des Pazifiks. Sie spülen Lebensglück ans Ufer. Immerzu, seit Millionen von Jahren.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Wie weit sich Bänder dehnen

Jetzt bin ich fast drei Monate in Australien und habe ein Komplettpaket bekommen, aufgemacht, bestaunt, genossen und verstaut. Habe mit zurückhaltenden Augen, langsamen Gesten und andauernden Gesprächen etwas vom australischen Sinn der Dinge erfahren. Liege auf dem Bett im Van, am Fischerhafen von Crowdy Head. Dieser kleine Ort ist am lautesten, sobald die Vögel versuchen die Brandung zu übertönen. Es ist ein Fischerdorf, wie man es sich vorstellen will. Ringsum das Landende hinter dem Leuchtturm grämt sich ein großzügiger Pazifik, im Hinterland Bush, Wolken und die Berge. Alle weltfremd schönen Strände, es waren unzählige und es kommen weitere: Es fällt mir noch immer schwer, euch für wahr zu halten. Doch das bleibt jetzt kein Thema. Denn: Hier am Hafen in Crowdy Head wundere ich mich zu gern über starke Verbindungen nach Hause. Die habe ich ganz unterschätzt. Verbindungen klingt nach Buchpalaber. Ich nenne sie: Vermissen!

Wie weit sich Bänder dehnen. Bestes Deutschland, hier meine offizielle Vermiss- Liste der Dinge, ganz kulturegoistisch und ohne political correctness:

– die Vorweihnachtszeit // Australien macht da einfach überhaupt nicht an. Übrigens: War was in den Schuhen heute Morgen?

– Kebap // Halloumi, Fallafel & Co // es gibt sie hier aber sie sind nicht der Rede wert

– Brot // ich will die Watteteigballons, die hier ‚Brot‘ genannt werden gerne ungeschehen machen

– das ewig reifende Alter unserer Kultur // gleich wieder ein Sprung ins Tiefwasser, – die Struktur, mit der unsere Dörfer, Städte und Länder gebaut sind, ebenso unsere Geschichte in Kunst, Musik, Dichtung und Architektur, das ‚Wie‘ in Deutschland

– das wohlige Gefühl, aus einem kalten Abendtag in ein gewärmtes, isoliertes Haus zu gehen, die Türe hinter sich zu schließen // ‚warm‘ ist hier so normal wie ‚hell‘ am Morgen

– die Attitüde ‚gründlich‘ // und einige weitere Tugenden, die ‚Made In Germany‘ weltbekannt gemacht haben

– Kartoffeln und Quark // bloß der Versuch, die weiße Masse hier zu erklären, schlägt fehl

– Meckern // hier beißen sich die Leute lieber die Lippe ab, als mal ordentlich das Maul aufzumachen

Die Liste lässt sich fortführen, aber was sagen die paar Stichpunkte? Was würdest du so weit weg von Zuhause vermissen? Gerade leuchten die unscheinbaren Belanglosigkeiten am Meisten durch. Mal sind sie obenauf, mal automatisch im Ablauf einer Aufgabe eingebaut. Wie hast du ein gutes Abendessen? Wie sorgfältig erledigst du deinen Job? Wie oft macht man sich im Heimatland darüber am Tag Gedanken? Vieles von dem, was ich zuerst aus den Augen verlor, sobald ich in Australien ankam, schleicht nun wieder aus dem Versteck. Ich denke, es ist das Wegsein, der Abstand, der das Licht auf normale Dinge lenkt. Die dann schön sind, nicht nur wegen dem Licht.

Als Kind habe ich oft mit einer Lupe gespielt. Je weiter weg ich sie vom Käfer hielt, umso größer wurde er.
Das hat Spaß gemacht.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Ereigniskreisel

Vor zwei Monaten – in Sydney – hatte mir Marcus an einem Abend davon erzählt, er würde in ein paar Wochen in Kangaroo Valley spielen. Ein hübscher kleiner Ort, nicht viel mehr als eine Straße. Irgendwo im Hinterstübchen verschwand die Info bei mir.

Fünftausend Kilometer später. Wurde Sydney hinter den Blue Mountains begraben, die Blue Mountains hinter den weiten Ebenen von New South Wales. Das Outback vertrieb das Land. Inmitten drin – die Mildura Episode. Von dort ging es südlich, quer durch den Bundesstaat Victoria. Über goldenes Farmland, durch die majestätischen Grampians bis hinunter ans Ende des Landes. Port Fairy heißt das kleine Dorf an der Südküste, nicht schöner könnte der Name gefunden sein. Weiter, auf einer der beeindruckendsten Küstenstraßen dieser Welt. Gänsehaut sprudelt hinauf beim Nennen der Great Ocean Road. Melbourne schloss sich als inoffizielle Kaffeehauptstadt der Welt an. Bis sich der Highway durch Gippsland schlängelte, über einen Ausflug in die Snowy Mountains zurück Richtung Osten. Wieder bis ans Ende des Landes gefahren, wartete dort die Enklave der Bushwildnis – Mallacoota. Das Rechteck bauend, riss der Highway das Lenkrad nach links und trieb die rollenden Ränder nach Norden. Über Eden und einige außerweltlich wunderbare Küstendörfer ging es entlang der Southcoast, die in ihrem eigenen Süden treffend Sapphire Coast heißt. Weiter, immer weiter nach Norden, dem Pazifik im Blick, den Strandsand in der Hose, führte die Reise irgendwann nach Nowra. Und von dort – Ereigniskreisel – lag Kangaroo Valley nicht weit entfernt. Da sprang es aus der Hinterstube wieder hervor. Jede Etappe bisher hätte viele Buchstaben verdient, jedoch: Kangaroo Valley!

Einmal angekommen, ist es nicht viel mehr als eine Landstraße mit Holzhäusern links und rechts davon. Grün überall. Shops, Cafes, ein Fluss mit Brücke. Mitten im Tal. Ringsum stapeln sich die Kalksteinfelswände und überwuchert mit subtropischem Regenwald lassen sie das Tal wie eine Grüne Wanne erscheinen. Kangaroo Valley ist mit seinem Charme nur ein Stop in der Natur. Doch ist seine Erscheinung einmal mehr: Unglaublich, – es ist kein aufgebautes Filmset, das schön aussehen soll. Es bleibt immer verträumt und gemalt.

Ereigniskreisel.

Richard ist 71 und ein glücklicher Mann, der mit seinem Lachen einige Jahre seines Alters versteckt. Ich treffe ihn auf einer sonnigen Wiese mit Blick auf die umringenden Berge. Wie sein Akzent verrät – Könnte er aus Europa kommen? Dann wird es doch eine Geschichte der Welt: Richard kommt aus München. Nein, noch vorher war es, 1943 geboren! Seine Mutter, eine polnische Bauerstochter, floh vor den Nazis und ist als 15- jähriges Mädchen in München angekommen. Wo sein Vater – ein gut gebildeter Italiener sich später in sie verliebte. Die beiden bekamen Richard 1943 und nach seiner Kinderzeit verbrachte er die Jugend in Landshut, wo sein italienischer Vater Polizeichef im Flüchtlingslager war. Richard lernte einen Ingenieurberuf. Deutsches Handwerk, Präzision, Pünktlichkeit und Disziplin. Ihn zog es dann in die Welt, er reiste als junger Mann nach Kanada und baute dort Tunnel durch die Berge. Es war da inmitten der Schneegipfel, wo er seine zukünftige Frau traf – eine Norwegerin. Und tatsächlich ging er mit ihr nach einiger Zeit in Kanada zurück nach Skandinavien. Verlebte einige glückliche Jahre mit ihr bevor beide schlicht „Abenteuerlust“ packte. Sie gingen nach Australien und Richard arbeitete in den Kohleminen bei Wollongong. Das Leben hielt sie dort mit Magie, sie bekamen drei Jungs und: Blieben. Das war in den 60er Jahren. Geld hatte Richard, er kaufte für $25 je acre Land 500 davon. Jetzt hat er ein stattliches Anwesen im Tal der Kangurus. Noch immer kann er neun Sprachen fließend. Seinen bayrischen Dialekt zaubert er unter seinem Schnurrbart hervor. Einer seiner Söhne ist Architekt, ihn zog es nach Deutschland. Aber er müsste weiter, er hat noch so viel zu tun heute. Richard ist 71 und ein glücklicher Mann.

Noch beim Tippen der Buchstaben leuchten seine Lebenslinien über den Globus. Ich verlasse die grüne Kalksteinschlucht mit einem dedektivischen Suchen. Meine persönliche Bereicherung mit dieser Lebensgeschichte – Woher? Sie nahm ihren unbedeutenden Beginn vor 2 Monaten und 5000 Kilometern an einem Abend in Sydney.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Der winkende Grenzer

Die Geschichten des Novembers, machen sie heute Platz für eine Verdichtung. Denn etwas größeres rollt im Windschatten nebenher. Dafür gibt es eine kleine Anleitung, einen Weg ins Reich dieser Dichtung.
Zunächst:

 

Der winkende Grenzer

Pedal
flieht langsam vom Blech
verlobt mit linkem Bein
verhilft dem Gefährt
ins rollende Sein

Der Zaun
mit dem geöffneten Tor
und dem Passkontrollschalter
bleibt ganz genau da
lässt dich durch
so ziehst du weiter

Der Mann
uniformierter Gestalt
ist
Ausführender
zeitlicher Gewalt

Der Akt
seiner prüfenden Hand
befugt für Einbahnreisen
in momentenes Land
hast du’s dir gut überlegt –
Ohne Rückfahrt dich auszuweisen?

Er schaut
der winkende Grenzer
von hinten in deinen Spiegel
noch wenn du längst verborgen
von Wolken und Hügeln
ist sein trennender Akt
Sekunde 1 auf Ziffernblatt
regelt die prüfende Hand
dass bleibt von Früher
hinter dem Zaun – 
im Vorher Land

 

 

Nun zur Lesehilfe:

Die Fahrt der Person – ist voranschreitende Zeit im anderen Land
Der Zaun – markiert die Trennung zweier Länder, hier aber: die Trennung zweier Zeitabschnitte
Der Grenzer – ist das Mensch-Werden der Schwelle, einen neuen Abschnitt zu betreten
Der Akt – ist das Bewusst-Werden des Neuen

Eine Glückseligkeit, dann und wann Grenzer zu treffen?

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein