Ereigniskreisel

Vor zwei Monaten – in Sydney – hatte mir Marcus an einem Abend davon erzählt, er würde in ein paar Wochen in Kangaroo Valley spielen. Ein hübscher kleiner Ort, nicht viel mehr als eine Straße. Irgendwo im Hinterstübchen verschwand die Info bei mir.

Fünftausend Kilometer später. Wurde Sydney hinter den Blue Mountains begraben, die Blue Mountains hinter den weiten Ebenen von New South Wales. Das Outback vertrieb das Land. Inmitten drin – die Mildura Episode. Von dort ging es südlich, quer durch den Bundesstaat Victoria. Über goldenes Farmland, durch die majestätischen Grampians bis hinunter ans Ende des Landes. Port Fairy heißt das kleine Dorf an der Südküste, nicht schöner könnte der Name gefunden sein. Weiter, auf einer der beeindruckendsten Küstenstraßen dieser Welt. Gänsehaut sprudelt hinauf beim Nennen der Great Ocean Road. Melbourne schloss sich als inoffizielle Kaffeehauptstadt der Welt an. Bis sich der Highway durch Gippsland schlängelte, über einen Ausflug in die Snowy Mountains zurück Richtung Osten. Wieder bis ans Ende des Landes gefahren, wartete dort die Enklave der Bushwildnis – Mallacoota. Das Rechteck bauend, riss der Highway das Lenkrad nach links und trieb die rollenden Ränder nach Norden. Über Eden und einige außerweltlich wunderbare Küstendörfer ging es entlang der Southcoast, die in ihrem eigenen Süden treffend Sapphire Coast heißt. Weiter, immer weiter nach Norden, dem Pazifik im Blick, den Strandsand in der Hose, führte die Reise irgendwann nach Nowra. Und von dort – Ereigniskreisel – lag Kangaroo Valley nicht weit entfernt. Da sprang es aus der Hinterstube wieder hervor. Jede Etappe bisher hätte viele Buchstaben verdient, jedoch: Kangaroo Valley!

Einmal angekommen, ist es nicht viel mehr als eine Landstraße mit Holzhäusern links und rechts davon. Grün überall. Shops, Cafes, ein Fluss mit Brücke. Mitten im Tal. Ringsum stapeln sich die Kalksteinfelswände und überwuchert mit subtropischem Regenwald lassen sie das Tal wie eine Grüne Wanne erscheinen. Kangaroo Valley ist mit seinem Charme nur ein Stop in der Natur. Doch ist seine Erscheinung einmal mehr: Unglaublich, – es ist kein aufgebautes Filmset, das schön aussehen soll. Es bleibt immer verträumt und gemalt.

Ereigniskreisel.

Richard ist 71 und ein glücklicher Mann, der mit seinem Lachen einige Jahre seines Alters versteckt. Ich treffe ihn auf einer sonnigen Wiese mit Blick auf die umringenden Berge. Wie sein Akzent verrät – Könnte er aus Europa kommen? Dann wird es doch eine Geschichte der Welt: Richard kommt aus München. Nein, noch vorher war es, 1943 geboren! Seine Mutter, eine polnische Bauerstochter, floh vor den Nazis und ist als 15- jähriges Mädchen in München angekommen. Wo sein Vater – ein gut gebildeter Italiener sich später in sie verliebte. Die beiden bekamen Richard 1943 und nach seiner Kinderzeit verbrachte er die Jugend in Landshut, wo sein italienischer Vater Polizeichef im Flüchtlingslager war. Richard lernte einen Ingenieurberuf. Deutsches Handwerk, Präzision, Pünktlichkeit und Disziplin. Ihn zog es dann in die Welt, er reiste als junger Mann nach Kanada und baute dort Tunnel durch die Berge. Es war da inmitten der Schneegipfel, wo er seine zukünftige Frau traf – eine Norwegerin. Und tatsächlich ging er mit ihr nach einiger Zeit in Kanada zurück nach Skandinavien. Verlebte einige glückliche Jahre mit ihr bevor beide schlicht „Abenteuerlust“ packte. Sie gingen nach Australien und Richard arbeitete in den Kohleminen bei Wollongong. Das Leben hielt sie dort mit Magie, sie bekamen drei Jungs und: Blieben. Das war in den 60er Jahren. Geld hatte Richard, er kaufte für $25 je acre Land 500 davon. Jetzt hat er ein stattliches Anwesen im Tal der Kangurus. Noch immer kann er neun Sprachen fließend. Seinen bayrischen Dialekt zaubert er unter seinem Schnurrbart hervor. Einer seiner Söhne ist Architekt, ihn zog es nach Deutschland. Aber er müsste weiter, er hat noch so viel zu tun heute. Richard ist 71 und ein glücklicher Mann.

Noch beim Tippen der Buchstaben leuchten seine Lebenslinien über den Globus. Ich verlasse die grüne Kalksteinschlucht mit einem dedektivischen Suchen. Meine persönliche Bereicherung mit dieser Lebensgeschichte – Woher? Sie nahm ihren unbedeutenden Beginn vor 2 Monaten und 5000 Kilometern an einem Abend in Sydney.

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