Parkplatz, schöne Anlage. Ein Jumprock mit 25 Jugendlichen drauf, die alle nacheinander ins 4 Meter tiefer liegende Farbeimerwasser springen. Jeanie will schnell zum Wasser, ihre Badesachen trägt sie schon. George lässt den Motor auf dem Parkplatz noch laufen, draußen ist es sonst zu warm, nur noch 2 Minuten will Kate im Kühlen sitzen. Schwerfällig müht sie sich danach aus dem Wagen, ein Bein nach dem anderen. Jeanie spielt hinter Mums’ Beinen manchmal Verstecke. Sie denkt sich dann aus, wer sie suchen würde und wie sie alle austricksen würde. Keiner würde sie hinter Mum so schnell sehen, denkt sie sich pfiffig.
Wie ein Minzbonbon, nur durchsichtiger. Das denkt sich Jeanie beim Anblick des Wassers hier in Waimea Beach. Mum und Dad wollen nicht so richtig mit ins Wasser, aber das kühlt doch so gut? Jeanie springt hinein, macht ein paar Versuche, den Kopf unter Wasser zu halten und ihre Atmung zu stoppen. Die größeren Kinder schwimmen sogar dabei, das hatte sie schon oft gesehen.
Sie geht irgendwann heraus, springt über den heißen Sand. Sie läuft auf eine kleine Düne, mehr nur eine Anhäufung von Sand; sie sieht Mum und Dad von schräg oben. Dreht sich, da ist weiter hinten rechts eine kleine Kuppel, dort arbeitet der Bademeister, der die Menschen rettet. Und dann sind da Duschen, viele Leute und Autos. Sie blickt nach links und sieht einen großen grünen Busch, fast so groß wie ein kleines Haus. Halbrund wie eine Schale, die verkehrt herum auf einem Tisch aus Sand liegt, leuchtet der Busch grün. Wie hübsch. Jeanie rennt in Richtung der grünen Schale und bleibt dann plötzlich stehen. Sie zögert. Nein, das geht eigentlich nicht. Schaut noch einmal, dann dreht sie um, wieder zurück zu Mum und Dad. Es ist heiß, sie will wieder ins Wasser.
Martin öffnet die Augen. Es rauscht, flattert. Und es stinkt. Die Sonne ist schon über den Bergen, drückt schon ihre Hitze herunter und macht den beißenden Geruch von Tag zu Tag schlimmer. Martin will sich nochmal drehen, unter ihm ist es hart und weich zugleich, je nachdem, wo und wie er gerade liegt. Der Reißverschluss surrt, er knackt an den Stellen, an denen er schon zerschlissen ist. Martin duckt sich heraus und um ihn herum ist es eng. Jake scheint schon weg zu sein, bei ihm ist alles offen. Schattig ist es hier noch aber bald wird es unerträglich. Martin’s Hose hat Risse, seine Flippers sind in Wellen ausgetreten, manchmal spürt er noch, wie seine Fußsohle den Boden berührt. Dann hat er das Gefühl, die viele Hornhaut nimmt ihm jede Empfindung. Heiß, kalt, steinig – Spielt schon lange keine Rolle mehr.
Er schleicht, schlurft und greift sich zum Ausgang. T-shirt riecht zu sehr, ist sowieso bald zu warm. Also keins. Bevor er einen Blick und dann den schnellen Satz nach draußen riskiert, streift er sich die Haare über den Kopf. Ein paar davon hat er dann in den Händen. Grauer Schimmer, mit gelb. Seine Hände werden schmieriger, je öfter er sich die Haare zurückstreifen will. Dann ist es ihm egal.
Blick. Ok. Und los. Nein, Stopp. Ein paar Meter entfernt steht plötzlich ein Mädchen und sieht Martin an. Kurz nachdem es in seine Richtung gerannt war und irgendwie erschrocken stoppte. Er überlegt, ob er sich wieder wegducken soll. Aber eigentlich zu spät. Das Mädchen musste ihn gesehen haben, denn es dreht gleich wieder um und rennt davon. Was sonst. Sieht er denn so verängstigend aus?
Ein Satz hinaus, zum Straßenrand, der mit Felsen befestigt ist, die Treppe hoch und dann einen kleinen Kilometer bis nach Pupukea, vielleicht ist Jake dort, am Supermarkt und hat Glück mit ein paar Quartermünzen.
Gegen sieben am Abend kehrt Martin zurück. Weil Jake nicht da war, musste er es allein probieren. Irgendwie ist er auf 6$nochwas gekommen. Brot? Wasser? Nein, Wasser gibt’s kostenlos gleich neben den Toiletten. Vielleicht wirklich Brot. Aber erst morgen. Selbst wenn es aus dem Supermarkt kommt, ein frisches Brot, ja. Es könnten mehr Touristen in den Ort kommen, dann würde vielleicht jemand einen Waschsalon aufmachen. Das wäre nützlich und nicht zu teuer. Denn der Gestank wird von Tag zu Tag schlimmer. Bis nach Honolulu kommt Martin dieser Tage nicht. Nicht mit 6$ wenn man essen, und fahren will. Es hilft keiner. Dann eben morgen früh ein Brot, Stimmung ist dann sowieso besser.
Er läuft langsam zurück und ist bald an der Straße mit der Felsenbefestigung. Dort gibt es die Treppe, die zum Strand führt und die er vor einigen Stunden nahm als er nach Pupukea wollte. Und diese Treppe wird nur von den Dörflern benutzt, die Touristen haben den Parkplatz da hinten. Was die Dörfler wohl denken, wenn sie die Treppe herunterkommen?
Martin bleibt am unteren Rand stehen und blickt dorthin, wo er morgen früh hoffentlich wieder aufwachen wird. Kräftige Äste machen es schwer, den Eingang zu finden. Auf ihnen hängen Socken von ihm, Jake und den anderen Kumpels. Keiner will mehr so richtig dorthin, es stinkt zu sehr, aber das hält auch ungebetene Gäste ab. Dickfleischige grüne Blätter schützen vor Sonne, Regen und vor Entdecktwerden. Die Polizei hat keine Lust auf Martin und seine Freunde. Hinter den Ästen dann sein Bett, sein Nest, sein grüner Rückzugsort. Ein altes Zelt, was mal jemand wegschmeißen wollte. Am Rand wachsen schon Pflanzen hoch, Strandsand schmiegt sich organisch um die Zeltwände. Ja, das Zelt ist schon eine Weile hier. Es steht windschief, so gut es ging zwischen den Ästen des grünen Buschs’.
Martin kriecht durch die Äste unter das Blattdach seiner grünen Oase. Manchmal sieht er zwischen den Blättern die Touristen am Strand, aber niemand würde ihn hier drin vermuten. Ihn und sein Zelt. Ohne das er nicht überlebte. Was für eine Ironie, so warm Tag und Nacht, er würde nicht an Unterkühlung sterben, nur am Fehlen eines Rückzugsortes für sich. Das wäre sein Ende.
Jeanie ist am nächsten Abend wieder in Waikiki. Der zweite Tag der Tour und die Fahrt zurück war angenehm, kühl dann im Auto und Mum hatte Eis gekauft. Jeanie spielte auf dem Tablet. Jetzt sitzt sie im Hotelapartment 17. Stock und betrachtet den Sonnenuntergang im Westen. Dort, wo nur Wasser ist. Sie denkt an den Mann, der sich gestern in der grünen Schale wohl umgezogen hat. Aber es gibt doch Kabinen.
Martin kauft an diesem Tag sein Brot. Er teilt es sich ein. Am Abend, wenn die Touristen weg sind, nutzt er die öffentlichen Duschen, nicht weit seiner grünen Oase. Er sitzt im Sand, kaut auf seinen verbliebenen Zähnen trocken Brot. Das rote Licht der Sonne, die recht schnell hinter dem Horizont von Waimea Beach verschwindet, er genießt es. Kostet nix. Dann verschwindet er, zwischen die Äste, unter das Grün, hinein in das zerschlissene Zelt.